Interview mit der Schäferin Ruth Häckh

(Umschlagfoto: Verena Müller)

Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen Buch: “Eine für alle – Mein Leben als Schäferin“.  Sie schildern eindrücklich und sehr persönlich den Alltag und Ihren Lebensweg als Berufsschäferin, die schönen Momente ebenso wie die Probleme und Herausforderungen.

Wie ist die bisherige Resonanz auf Ihr Buch? Welche Rückmeldungen und Fragen Ihrer Leser waren für Sie wichtig?

Schon jahrelang habe ich Geschichten geschrieben und sie in kleinem Kreis veröffentlicht. Da habe ich immer wieder festgestellt, wie gut meine Geschichten über den Schäferalltag und das Schäferleben auch bei Nichtschäfern ankamen.

Bei mir selber war ich oft erstaunt, dass wenn ich eine Geschichte nach langer Zeit nochmal gelesen habe, sie nichts von ihrer Präsenz und Spannung verloren hatte, auch wenn ich sie schon kannte, ja sogar selber geschrieben hatte.

Beim Buch war es total spannend zu hören, dass es für jeden Leser, für jede Leserin etwas anderes war, was ihm oder ihr gefallen hat und wovon er fasziniert war.

Wenn niemand mehr Tiere essen würde, gäbe es keine mehr. Auch die artgerecht gehaltenen würden verschwinden…“ (S. 277)

Sie haben auf Ihrem Hof ein Schlachthaus und schlachten Ihre Tiere selbst, auch wenn dies sachlich betrachtet ganz klar die tierfreundlichste Methode der Schlachtung ist, wie kommen Sie emotional damit klar, die Tiere zu töten? Ein Verdrängen, wie es vermutlich die meisten von den Nicht-Veganern tun, die Fleisch essen, ist in dieser Situation sicher schwierig, oder?

Zum einen bin ich damit aufgewachsen, dass Tiere geschlachtet werden, das war in meiner Kindheit ganz normal, nicht nur die Hammel sondern auch mal eine Sau, also von daher war es nichts Besonderes.

Zum anderen ist das ja mein Verdienst, ohne Lämmer zu schlachten und zu verkaufen könnte ich nicht leben. Als ich mit der Schafhaltung angefangen habe, konnte man noch davon leben. Heute gibt es viele Gelder ja auch von der Landschaftspflege.

Nun könnte ich ja trotzdem, anstatt die Lämmer selber zu schlachten sie an einen Händler verkaufen, der sie auf einen LKW lädt und lebend vom Hof fährt.

Ist das aber wirklich besser??? Sie stehen für Stunden auf dem LKW, werden über hunderte Kilometer zum nächsten großen Schlachthof gefahren, stehen da noch über Stunden, oder gar über Nacht. Womöglich in einem Wartestall neben Schweinebuchten mit dem ohrenbetäubenden angstvollem Gequieke der Schweine. Sind vor Angst völlig außer sich.

Will ich das meinen Lämmern antun, wo ich mich, solange sie bei mir waren, alles nur Erdenkliche getan habe, damit es ihnen gut geht??? Liegt es da nicht auch in meiner Verantwortung, sie in der letzten Stunde zu begleiten und darauf zu achten, dass sie weder Angst noch Stress haben?

„Wie kannst Du nur Fleisch von einem Tier essen, das Du gekannt hast?“ Werde ich immer wieder gefragt. Wie kann man Fleisch von einem Tier essen, das man nicht gekannt hat? Von dem man nicht weiß, wie es gelebt hat? Welches Futter es bekommen hat? Wieviel Medikamente? Ob es sich jemals mit Artgenossen unter freiem Himmel bewegen konnte, oder eng in dunklen Ställen mit Kunstlicht eingesperrt war? Man geht mit seinem Haustier spazieren, schaut, dass es alles hat, was zu seinem Wohlbefinden beiträgt, doch beim Schnitzel im Teller ist es nur wichtig, dass es billig ist. Wieso ist das Leben und Wohlbefinden einer Tierart so viel mehr wert, wie das einer anderen? Wieso maßt sich der Mensch das an? „Wie kann man nur?“ Wenn jeder, der Fleisch essen wollte, die Tiere auch selber schlachten müsste, sähe unsere Welt ganz anders aus.

Was könnte gemacht werden, um das Wandern der Schäfer wieder besser zu ermöglichen? Wie kann das Überleben des Berufs unterstützt werden?

Das mit dem Wandern ist eine ganz schwierige Sache, wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, Straßen und Bebauung rückgängig machen. Was dem Wandern aber am meisten im Wege steht, ist die Intensivierung der Landwirtschaft. Fast alle Wiesen sind mit Gülle oder Biogassubstrat bedeckt, worauf die Schafe nicht fressen und sie so unterwegs kein Futter mehr finden.

Um das Überleben des Berufsstandes zu unterstützen, wäre es notwendig, dass ein Schäfer auch ausrechend Einkommen hat, um seine Familie zu ernähren.

Zum einen besteht sein Einkommen aus dem Verkauf von Lämmern. Da das Lammfleisch jedoch so günstig aus Neuseeland und anderen Ländern zu uns kommt, sind wir gezwungen, unsere Lämmer weit unter einem Preis zu verkaufen, der einen auskömmlichen Lebensunterhalt sichern würde. Hier ist jeder einzelne gefragt, eben nicht nur auf den Preis zu schauen, sondern auch die heimischen Schäfer zu unterstützen. Wer keinen Schäfer vor seiner Haustüre hat, kann inzwischen auch im Internet bestellen unter:

 www.genuss-vom-schaefer.de

Zum anderen bekommen Schäfer Gelder aus der Landschaftspflege, doch auch die sind nicht ausreichend, um mit einem Schäfereibetrieb gut über die Runden zu kommen. Hier ist die Politik gefragt, die Leistungen der Schäfer als agrarökologische Dienstleiter angemessen zu unterstützen. Im Sommer 2018 gab es von Seiten der Schäfer die Forderung nach einer Weidetierprämie. Die wurde jedoch abgelehnt. Jeder Politiker beteuert, wie wichtig die Leistungen der Schäfereien sind, doch von schönen Worten können wir leider keine Rechnungen bezahlen.

Sie berichten in Ihrem Buch von Ihrer Reise nach Rajasthan und dem Besuch bei den indischen Kamelnomaden, den Raika. Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt?

Es war genau das, was ich auf dem Welthirtentreffen 2013 in Nairobi, wo sich Hirten aus aller Welt getroffen haben, auch schon erfahren habe.

Wir Hirten kommen aus verschiedenen Kontinenten, haben verschiedene Hautfarben, verschiedene Kulturen, sprechen andere Sprachen und doch sind wir durch unser Leben als Hirten auf eine ganz einzigartige enge Weise miteinander verbunden.

Als ich in Rajasthan neben Raikas auf dem Feld bei ihren Kamelen saß, frische Kamelmilch aus einem Blatt trinkend, war ich zuhause, es war wie meine Familie, kein Unterschied, so sehr verbindet uns unser Lebensstil miteinander. Wir leben mit den Tieren, von den Tieren und für die Tiere.

Sie waren auch auf Farmen in Australien und Neuseeland im Einsatz. Wie sieht Ihre Einschätzung der Zukunft der Hirten aus? Wie können wir ihre Kulturen und ihre damit verbundenen Leistungen für die Ernährungs-sicherung, die Biodiversität und den Klimaschutz langfristig erhalten?

Langfristig kann das Hirtentum nur erhalten werden, wenn es wertgeschätzt und honoriert wird. Hirten und ihre Herden brauchen den ungehinderten Zugang zu Weideland, den Zugang zu Wasser, ihre Wanderrouten müssen erhalten bleiben. Hirten können mit ihren Herden da weiden, wo das Land anderweitig nicht für die menschliche Ernährung nutzbar ist und sie erzeugen gleichzeitig hochwertiges gesundes Fleisch. Hirten und ihre Herden pflegen die artenreichsten Landschaften und tragen so zur Biodiversität bei. Hirten scheinen ein Relikt aus der Vergangenheit, doch sie sind durch ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ultramodern.

Ruth Häckh

(© Oliver Vogel)

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(© Oliver Vogel)